»Das ist nicht richtig, was Sie sagen, es ist noch nicht einmal falsch.«
Mit solchen und ähnlichen Sprüchen lehrte Wolfgang Pauli seinen Zeitgenossen das Fürchten. Doch Überheblichkeiten konnte er sich leisten, aus heutiger Sicht geht seine Genialität völlig zu Unrecht neben anderen Größen der theoretischen Physik, wie Albert Einstein oder Max Planck, leider etwas unter. Wolfgang Pauli war nämlich über die Physik hinaus äußerst vielseitig, aber vielleicht ist er gerade deshalb und nicht trotzdem relativ unbekannt.
Wolfgang Ernst Pauli wurde 1900 in Wien als Sohn eines jüdischen Mediziners geboren. Schon als Jugendlicher verfaßte er bemerkenswerte Abhandlungen über die Einsteinsche Relativitätstheorie. Ab 1918 studierte er, übrigens zusammen mit Werner Heisenberg (1901-1976), in München Physik und promovierte 1921. Zwischen 1923 und 1928 habilitierte sich Wolfgang Pauli in Hamburg. In dieser Zeit entwickelte er ein Ausschlußprinzip, das heute als Pauli-Prinzip bekannt ist. Demzufolge kann – grob gesagt – ein Elektron nicht einen Zustand annehmen, den bereits ein anderes innehat. Dazu postulierte er eine bis dato unbekannte vierte Quantenzahl (Elektronenspin). Außerdem sagte Wolfgang Pauli 1930, dem Energieerhaltungsgesetz verhaftet, die Existenz eines später Neutrino genannten Teilchens voraus.
Waren die Postulate von vierter Quantenzahl und einem weiteren Elementarteilchen mutig, um nicht zu sagen verwegen, so muß es schon als aberwitzig bezeichnet werden, daß Wolfgang Pauli seine Kollegen gleichzeitig aufforderte, weder nach der Quantenzahl noch nach dem Elementarteil zu suchen, da er beide für nicht meßbar hielt. Man kann sich wohl vorstellen, wie leicht seine Theorien da als Humbug abgetan wurden. Doch es fanden sich auch Wissenschaftler, die Wolfgang Pauli widersprachen, nur um ihn zu bestätigen. Bald wurden ‚Eigenarten‘ von Elektronen nachgewiesen, die heute als Spin bezeichnet werden, und Wolfgang Pauli erhielt 1945 für sein Ausschlußprinzip den Nobelpreis für Physik. 1954 durfte Wolfgang Pauli auch die Entdeckung des Neutrinos durch Frederick Reines (1918-1998) miterleben.
Eine weitere Qualität, nicht des Physikers, sondern des Menschen Wolfgang Pauli trat ab 1928 zutage, als er an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) nach Zürich übersiedelte. Aus einem tief empfundenen geistigen Erleben heraus, das er selbst als »Neurose« bezeichnete, begab er sich bei dem Psychiater Carl Gustav Jung (1875-1961) in Behandlung. Damit begann ein lebenslanger wissenschaftlicher Briefwechsel, dem heute zu entnehmen ist, daß die Jung’sche Psychologie in etlichen Bereichen ein Produkt der ‚Zusammenarbeit‘ mit Wolfgang Pauli war.
Wolfgang Pauli erkannte, was viele bis heute noch nicht in ihrer vollen Tragweite begriffen haben, nämlich daß die Physik – mit dem Bau der Atombombe – die Wissenschaft in eine neue Ära geführt hat, in der sie ihre »Objektivität« und »Rationalität«, im besonderen ihre moralische Unantastbarkeit verloren hat: Fortschritt ist nicht mehr per Definition zum Wohle der Menschheit!
Es ist müßig, genau genommen sogar arrogant, über die Ethik oder Moral von Wissenschaftlern zu urteilen, die die Atombombe bauten (Wolfgang Pauli gehörte nicht dazu!), wo es doch diese Begriffe in der Wissenschaft damals noch nicht gab, bzw. die »Moral« der Wissenschaften nie zuvor in Zweifel gezogen worden war. Aber heute wissen wir darum, und es ist überlebenswichtig geworden, Ethik und Moral nicht als Hemmschuhe der Wissenschaft zu betrachten, sondern als deren Fundament! Wir leben in einer Zeit, da man nicht alles tun muß, nur weil man es tun kann. Ein aktuelleres Beispiel ist die Gentechnologie, die in ihren Auswirkungen das Ausmaß der Atombomben bei weitem übertreffen könnte; wenn die auch nicht so plötzlich, dafür aber weitaus langanhaltender eintreten würden. Unverantwortlich ist es da, Menschen mit Bedenken als fortschrittsfeindlich, altmodisch oder gar ängstlich zu degradieren.
Wolfgang Pauli blieb sein Leben lang Wissenschaftler, aber er hatte Bedenken bezüglich der »bösen Hinterseite der Naturwissenschaften« oder auch »Schattenseite«, wie er sie nannte. Leider starb er viel zu früh 1958 in Zürich an Darmkrebs. Das macht es nur um so dringlicher, sich endlich mit der ‚moralischen‘ oder ‚philosophischen‘ Seite dieses großen Geistes auseinandersetzen, denn wenn Wolfgang Pauli etwas bedachte, dann war das – siehe Spin und Neutrino – kein Humbug.
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